Substanz
Nitazene, eine Klasse von mehr als 20 synthetischen chemischen Verbindungen, wurden ursprünglich in den 1950er-Jahren als opioide Schmerzmittel, sogenannte Analgetika, entwickelt. Sie wurden jedoch nie für die Verwendung in der Human- oder Tiermedizin zugelassen.
Die gemeinhin als Nitazene bekannten 2-Benzyl-Benzimidazol-Opioide sind bis zu 500-mal stärker als Heroin.
Im Jahr 2023 waren laut dem Drogenbericht der EUDA (European Union Drugs Agency) sechs der sieben neuen synthetischen Opioide, die dem EU-Frühwarnsystem gemeldet wurden, Nitazene. Insgesamt seien seit 2019 in Europa 16 Nitazene entdeckt worden.
Synthetische Drogen wie Nitazene werden mithilfe von Chemikalien künstlich hergestellt.
Synthetische Drogen bieten den Herstellern klare Vorteile. Sie lassen sich schnell und kostengünstig produzieren, ohne auf illegalisierte Pflanzen angewiesen zu sein. Der größte Teil des Heroins in Europa stammte aus Afghanistan. Die Taliban haben den Opiumanbau verboten, was zu einem starken Produktionsrückgang führte. Die daraus resultierende Marktlücke könnte dazu führen, dass sich Nitazene als Ersatzprodukte in Europa verbreiten.
In vielen EU-Ländern wurde ein starker Anstieg von Todesfällen und Vergiftungen durch Nitazene registriert. Zudem könnte die Dunkelziffer laut Europäischen Drogenbericht 2024 noch deutlich höher liegen. „Es könnte sein, dass Nitazene und ähnliche Substanzen in einigen Ländern zurzeit bei routinemäßigen postmortalen toxikologischen Untersuchungen nicht nachgewiesen werden, sodass die Zahl der mit ihnen verbundenen Todesfälle möglicherweise unterschätzt wird.“
Seit September 2024 sind in Bayern nachweislich mindestens 8 Menschen in Verbindung mit Nitazenen verstorben. Bundesweit gab es im Zusammenhang mit Nitazenen mindestens 31 Todesfälle.
Nitazene haben viele Abwandlungen. Es gibt z.B. Isotonitazen, Metonitazen, Etonitazen oder Protonitazen. Viele dieser Substanzen wirken rund 100-mal stärker als Morphin und 50-mal stärker als Heroin.
Erscheinungsform und Einnahme
Nitazene werden häufig in Tablettenform hergestellt und können geschluckt, geraucht oder injiziert werden. Im Gegensatz zu Heroin und anderen Opioiden soll Nitazen keinen bitteren Geschmack haben, was es für Konsumenten attraktiver macht.
In Pulverform verkauft, haben Nitazene eine gelbe, braune oder gebrochen weiße Farbe.
Auch werden Nitazene in Pillen gepresst und fälschlicherweise als Arzneimittel vermarktet, wie beispielsweise Oxycodon -Tabletten.
In Australien wurden im Januar 2024 Nitazene in XTC-Tabletten nachgewiesen.
Im April 2024 wurde in Deutschland ein Nitazen aufgelöst in Nasenspray nachgewiesen.
Auch gab es Sicherstellungen gefälschter Oxycodon-Tabletten, in denen Nitazene nachgewiesen wurden.
Im Vereinigten Königreich wurden Nitazene in Substanzen nachgewiesen, die als andere Opioide, Benzodiazepine und Cannabisprodukte verkauft wurden.
Dosierung
Nitazene wirken bereits im Mikro-Gramm-Bereich und können kaum adäquat und risikoarm dosiert werden. Die verschiedenen Nitazene haben unterschiedliche Potenzen bzw. unterschiedliche Bindungsaffinitäten an den Opioid-Rezeptoren.
Aufgrund der hohen Potenz ist die Gefahr, ungewollt eine letale (tödliche) Dosis einzunehmen, im Vergleich zu anderen Opiaten/Opioiden stark erhöht. Wir raten dringend vom Konsum ab!
Wirkung
Nitazene wirken stark schmerzlindernd (analgetisch) und sedierend, daneben auch atemdepressiv,
antitussiv, pulsverlangsamend, blutdrucksenkend, verstopfend und teils euphorisierend. Weiter tritt eine
starke Verengung der Pupillen (Miosis) auf. Der Konsum von Nitazenen aktiviert das Belohnungssystem,
was hauptursächlich zum Missbrauch beiträgt.
Die Wirkung flutet schneller an, hat aber eine kürzere Wirkdauer als andere Opioide.
Injiziert wirken Nitazene nach fünf bis 120 Sekunden, die maximale Wirkung tritt nach vier bis fünf Minuten ein und hält abhängig von der Gewöhnung 3 bis 12 Stunden an.
Nitazene wirken bereits in der kleinsten Dosis und können darum kaum adäquat und risikoarm dosiert werden! Bereits eine kleine Menge reicht aus, um eine lebensbedrohliche Atemlähmung hervorzurufen.
Risiken und Nebenwirkungen
Wie bei allen Opioiden besteht die Gefahr einer Atemdepression bei Überdosierung sowie einer starken Toleranzentwicklung und einem hohen psychischen und physischen Abhängigkeitspotenzial. Nitazene bergen ein hohes Missbrauchspotenzial.
Nach Absetzen der Substanz kommt es zu Entzugssymptomen. Diese sind vor allem Schweißausbrüche, Schüttelfrost/Kälte, ein Rinnen der Augen und Nase, Erbrechen, Durchfall, Unruhe, Gereiztheit, Schwäche, depressive Zustände, schmerzhafte Krämpfe, Schlaflosigkeit. Seltener auch Halluzinationen, psychotische Phasen und Krampfanfälle. Begleitet werden können diese zusätzlich von extremen Angstzuständen und Panikattacken. Opioide sollten deshalb stets langsam und unter ärztlicher Begleitung reduziert werden!
Aufgrund der verringerten Toleranz ist das Risiko einer tödlichen Nitazen-Überdosierung bei einem
Rückfall nach einer Phase des Ausstiegs besonders hoch. Entsprechend sollte bei einem Rückfall die Dosis drastisch reduziert werden.
Nitazene sind extrem potent und können aufgrund ihrer starken Wirksamkeit schnell zu schweren Überdosierungen und Todesfällen führen.
Zu den stärksten Nitazenen gehören u.a.:
Metonitazen: 10-mal potenter wie Morphin
Protonitazen: 200-mal potenter wie Morphin
Etonitazen: 1.500-mal potenter wie Morphin
Wechselwirkungen
Werden zusätzlich zu Nitazenen noch andere zentral dämpfende Wirkstoffe eingenommen, können sich die Effekte gegenseitig steigern. So sollte beispielsweise die Einnahme von Beruhigungsmitteln wie Benzodiazepine, Antipsychotika wie Droperidol oder alkoholhaltiger Getränke unbedingt vermieden werden.
Der gleichzeitige Konsum von Nitazenen mit serotonerg wirkenden Substanzen (Antidepressiva, MDMA
etc.) kann ein lebensbedrohliches Serotoninsyndrom zur Folge haben.
Pharmakologie
Die Effekte beruhen auf der Bindung an μ-Opioid-Rezeptoren.
Nitazene interagieren mit verschiedenen Opioidrezeptoren im Gehirn und Nervensystem.
Nitazene als Streckmittel
Neben dem wissentlichen Konsum von Nitazenen durch Konsumierende besteht die Gefahr, dass Nitazene als Streckmittel von illegalen Substanzen (insbesondere Heroin und andere Opioide, aber auch Kokain) verwendet wird. Der unwissentliche Konsum birgt grosse Risiken für (tödliche) Überdosierungen, da Nitazene in deutlich tieferen Dosen wirksam sind als beispielsweise Heroin.
Aktuelle Warnmeldung zu Nitazenen
Gegenmittel / Antidot: Naloxon kann Leben retten!
Naloxon kann – als Notfallmedikament eingesetzt – Überdosierungen rückgängig machen. Naloxon blockiert die Wirkung von Opioiden im Körper und kann bei einer Überdosierung den Unterschied zwischen Leben und Tod ausmachen.
Das momentan in Deutschland erhältliche Naloxon ist bzgl. Dosierung auf Heroin-Konsumierende zugeschnitten. Die Dosis reicht bei Nitazenen und Fentanyl möglicherweise nicht aus. Es kann notwendig sein, mehr als ein oder zwei Naloxon-Nasensprays einzusetzen.
- Erhältlich mit ärztlichem Rezept in Apotheken, Drogenhilfeeinrichtungen und bei Projekten zur Schadensminderung.
- Im Notfall: 112 rufen! Keine Angst vor rechtlichen Konsequenzen – die Schweigepflicht schützt.
Rechtlicher Status
Isotonitazen unterliegt in Deutschland dem Betäubungsmittelgesetz (BtMG). Andere Nitazene fallen unter die Bestimmungen des Neue-psychoaktive-Stoffe-Gesetzes (NpSG).
Safer-Use:
- Immer mit niedriger Testdosis starten – auch wenn du die Substanz kennst.
- Verlasse dich nicht auf Dosisempfehlungen von Online-Shops oder anderen Konsumierenden!
- Nie allein konsumieren. Im Notfall kann niemand helfen, wenn du alleine bist.
- Naloxon griffbereit haben: Das Notfallmedikament kann Überdosierungen kurzzeitig aufheben.
- Im Notfall: 112 rufen! Keine Angst vor rechtlichen Konsequenzen – die Schweigepflicht schützt dich.
- Lass` illegal erworbene Opiate/Opioide/Medikamente mittels Drugchecking untersuchen. Oder verwende zumindest Schnelltests, um auf Nitazene/Fentanyl zu testen.
- Grapefruit und Grapefruit-Saft kann zu Wechselwirkungen mit Opioiden und in der Folge zu Überdosierungen führen.