Die des sauberdrauf! Podcast-Folge 15 zum nachlesen
Die folgenden Inhalte sollen nicht als Anleitung zum Drogenkonsum verstanden werden oder motivieren. Sie sollen euch zur Selbstreflexion anregen und dienen zur Informationsgewinnung und Weitergabe. Herzlich willkommen, liebe Hörerinnen und Hörer.
[Patrick]Schön, dass ihr eingeschaltet habt zu einer neuen Podcast-Folge des Mindzone Podcasts Sauber drauf. Heute habe ich Olivia Mandvill zu Gast. Hallo Olivia, grüß dich.
[Olivia]
Hi Patrick, schön, dass ich dabei sein darf.
Ja, also wir machen eine Online-Aufnahme. Ich hoffe, ihr lieben Hörerinnen und Hörer habt trotzdem eine gute Tonqualität. Wir tun unser Bestes hier.
Olivia wohnt in Amberg und ist dort auch tätig in dem Bereich. Sie ist Jugendsuchtberaterin und ist im ganzen Landkreis unterwegs. In der Fachambulanz für Suchtprobleme der Caritas Amberg bist du angestellt.
Und ich starte mal mit meiner ersten Frage. Wie erreichen denn freiwillig nutzbare Beratungsangebote junge Menschen im ländlichen Bereich, wo du arbeitest?
[Olivia]
Ja, da gibt es verschiedene Möglichkeiten. Also die Jugendsuchtberatung in Amberg und auch insgesamt in Bayern ist ja noch ein ziemlich junges Projekt. Das heißt, anfangs mussten wir erst mal schauen, wie erreichen wir Jugendliche.
Da war die Idee vielleicht über die Eltern. Vielleicht gehen wir auch direkt auf sie zu. Inzwischen hat es sich ganz gut etabliert, dass wir einerseits an die Schulen gehen, also dass ich mich da vorstelle, die JAS-Kräfte mit einbinde, also Jugendsozialarbeit, dass ich dann eben einen Vortrag für die Lehrer halte, also eine Fortbildung über die Jugendsuchtberatung, was wir anbieten, was es für Abhängigkeiten gibt, also sowohl stoffgebundene als auch Behaltenssüchte, wie man am besten in uns vermittelt. Und dadurch kommen dann Kooperationen zustande. Zum Beispiel, dass ich in den Schulen den Raum gestellt bekomme und nur auf eine Sprechstunde anbiete.
Dann versuche ich natürlich die Jugendlichen früher oder später an die Fachambulanz selber anzubinden über meinen Beruf. Also ich habe ein Büro in der Stadt Amberg und eins im Landkreis in Sulzbach, weil ich ja für die Stadt und den Landkreis insgesamt zuständig bin. Die Schulen sind ein ganz großer Zugangspunkt.
Das Gericht schickt uns auch immer wieder als Auflage Jugendliche, wenn sie im Zusammenhang mit BTM erwischt wurden und da eine Strafe ableisten sollen. Wobei da die Jugendsuchtberatung tatsächlich noch eine recht angenehme Strafe ist. Wir arbeiten ja unter Schweigepflicht für die Jugendlichen, mit den Jugendlichen.
Also ich werde niemandem irgendwas aufzwingen, was er nicht möchte. In der Regel ist das Angebot auch freiwillig. Also außer wenn es jetzt eine Auflage vom Gericht ist, können Jugendlichen jederzeit sagen, ich habe keine Lust mehr, ich komme nicht mehr oder ich gehe woanders hin oder was auch immer.
Es gibt dann natürlich noch die Möglichkeit, dass Eltern sagen, geh da mal hin oder schulen, mit Hilfe quasi des Hausrechts. Also dass sie sagen, ich möchte, dass du da hingehst, der Rektor zum Beispiel. Bring da bitte eine Bestätigung mit, dass du da warst.
Das ist sozusagen eine soziale Auflage. Wir stellen auch Bestätigungen aus, aber immer nur an die Jugendlichen. Also wenn jetzt Eltern anrufen, da sind wir wirklich sehr streng, was die Schweigepflicht angeht, auch wenn die Jugendlichen noch unter 14 sind.
Ich berate ja ab zwölf Jahren. Wir stellen Bestätigungen aus, nur für die Jugendlichen. Wir sagen nur den Jugendlichen, was ist.
Und wenn ein Angehöriger anruft, die Polizei, das Jugendamt oder auch das Gericht, das uns die Jugendlichen selber geschickt hat, dann sage ich da erst mal gar nichts. Nur, wenn der Jugendliche es mir erlaubt.
[Patrick] Okay, finde ich super. Das Vertrauen will man sich nicht kaputt machen.[Olivia]
Ja, das ist die Basis jeglicher Beratung. Natürlich kann ich denen alles Mögliche erzählen über Drogen und über Sucht. Und es gehört auch ein Stück weit dazu, so quasi Psycho-Edukation, also einmal zu erzählen, was sind das denn für Substanzen?
Wie wirken die auf den Körper? Und dann auch das Arbeiten an und mit dem Jugendlichen selber. Also Konsumreflexion.
Wie wirkt das Ganze denn auf mich? Hat sich mein Konsum verändert und so weiter? Das kann ich dem nicht erzählen.
Das muss der selber rausfinden. Da müssen die Jugendlichen auch selber mitarbeiten. Und wenn kein Vertrauen da ist, dann machen die das nicht.
[Patrick] Du bist auch bei Mindzone Regensburg tätig. Und berätst dort am Infostand die Jugendlichen, die auf Party mit Substanzen und mit Mindzone in Kontakt kommen.[Olivia]
Genau.
[Olivia]
Das ist nicht allzu häufig, muss ich sagen. Ehrenamt neben der Hauptarbeit ist nicht immer so leicht unterzubringen.
[Olivia]
Genau. Aber auch bei Mindzone Regensburg zum Beispiel habe ich bereits einen Vortrag für die Peers, also die Kolleginnen und Kollegen gehalten, zum Thema Cannabis, Cannabis-Gesetz. Das war noch vor dem Gesetz.
Inzwischen könnte ich den Vortrag so gar nicht mehr halten, weil sich so viel verändert hat. Aber was Cannabis angeht, habe ich mich ja spezialisiert. Und da ist es immer ganz schön, da auch unterwegs zu sein.
[Patrick] Genau. Und so kommen wir auch schon zum heutigen Thema. Heute sprechen wir über das Feld Cannabis-Konsum, Auswirkungen auf den jugendlichen Organismus oder einfach auch auf Jugendliche selbst, auf ihr Soziales, auf alles, was Jugendliche so bewegt und wie Cannabis damit reinspielt.Wir wissen und haben alle schon mal gehört, dass Cannabis und Cannabis-Konsum im Jugendalter problematisch sein kann und besondere Risiken mit sich bringt. Und wir schauen uns heute das Thema einfach mal genauer an. Wie wirkt es im Gehirn?
Welche besonderen Entwicklungen macht das jugendliche Gehirn durch? Welche Auswirkungen sind auch im Sozialen zu erwarten? Führerschein und so weiter.
Gucken wir uns das einfach mal an. Und ja, du hast gerade schon angeschnitten, du bist da speziell ausgebildet. Du bist auch Medizinal-Cannabis-Beauftragte oder Sachverständige?
[Olivia]
Genau, Sachverständige für medizinisches Cannabis.
[Olivia]
Genau, das baue ich mit ein. Ich habe mich auch im Beruflichen, wenn ich mich dann natürlich immer weiterschau, dass ich immer auf dem neuesten Stand bin, habe mich eben auf Cannabis spezialisiert. Das war ja schon vor der Stelle, also im Studium.
Ich bin Soziologin. Ich habe mich dann eben auf Drogen- und Suchtsoziologie spezialisiert und meine Abschlussarbeit auch über Cannabis geschrieben. Und dann nahm das so seinen Lauf.
Und das war jetzt natürlich ein gutes Timing mit dem Gesetz, weil es da immer wieder was gibt, wo ich mich weiterbilden muss, wo ich auf dem neuesten Stand sein muss. Und dadurch wird es nie langweilig.
[Patrick] Was hältst du denn von der neuen Gesetzeslage seit 1. April? Also jetzt in Bezug auf Jugend?[Olivia]
Ja, also sie ist natürlich ausbaufähig. Es ist oftmals noch nicht so klar, was eigentlich jetzt ist und was nicht. Was ich gut finde, ist auf jeden Fall, dass diese Endkriminalisierung von Konsumenten jetzt passiert.
Also das war ja ganz, ganz lange Thema, dass auch Jugendliche juristisch dafür bestraft wurden und das ganze Lebensläufe wirklich gravierend verändert hat ins Negative. Ich finde es gut, dass es nicht mehr so ist. Jetzt muss natürlich der Jugendschutz ausgebaut werden.
Es ist nicht damit getan, dass es heißt, es ist erst ab 18 erlaubt, wie das sich dann etablieren wird oder wo es gut läuft und wo nicht, ist gerade noch relativ unklar. Also in der Beratung selber merke ich jetzt, dass die Jugendlichen das überhaupt nicht so juckt. Die sind auch zum großen Teil noch sehr, sehr uninformiert über das Gesetz.
Die haben nur mitbekommen, ja, das ist jetzt erlaubt. Da kann mir keiner mehr was und dann hauen sie rein. Also da habe ich jetzt schon auch ordentlich zu tun, auch Aufklärungsarbeit zu leisten, ohne übergriffig zu sein und zu sagen, wenn du darüber was wissen möchtest, frag mich gerne.
Oder auch eben darauf hinzuweisen, wenn sie sich selber in Gefahr begeben, weil ja, es ist inzwischen nicht mehr so, dass sie juristisch belangt werden können, wenn sie Cannabis bei sich tragen oder konsumieren. Aber sie müssen ja trotzdem zu Präventionsprogrammen, wenn sie erwischt werden. Und es ist auch nach wie vor gesundheitlich nicht gesünder, weil es nach wie vor auch nur im Schwarzmarkt gezogen werden kann.
[Patrick] Genau. Und weil es einfach sehr hochpotente Cannabis-Sorten gibt, synthetische Cannabinoide auch immer noch eine Rolle spielen und auch diese HHC-Produkte, wo es schon das fünfte Derivat gibt, gefühlt auch immer noch auf dem Markt sind. Und da auch irgendwie der Markt auch immer breiter wird, sodass die Sachen halblegal verkauft werden in Spätis und so.Aber das ist jetzt ein anderes Thema. Für Jugendliche, besonders unter 16 Jahren, ist häufiger Cannabis-Konsum mit mehr Risiken verbunden als für ältere Menschen, bei denen das Gehirn schon weiterentwickelt ist, wo die Pubertät rum ist, wo die chemischen Prozesse weiter abgeschlossen sind, dass die Persönlichkeit sich gefestigt hat und auch die Gehirnstruktur so richtig. Man weiß ja noch gar nicht genau, wie das alles funktioniert.
Und häufiger Konsum macht hier auf jeden Fall Probleme. Wo würdest du denn sagen, beginnt häufiger Konsum?
[Olivia]
Ja, also das ist ein ganz, ganz guter Punkt, dass du den nochmal ansprichst. Also auch reines Cannabis sozusagen und seien es die besten Homegrown Glüten sind trotzdem noch wirklich schädlich für Jugendliche, auch gerade, je früher sie anfangen und je mehr sie konsumieren. Es gibt natürlich diese Abstufung zwischen Genuss, Gewohnheit, Missbrauch, Sucht.
Wie oft man jetzt konsumiert und was jetzt häufig ist, legt da jeder für sich anders aus. Also ich wende das auch in der Beratung so an, dass ich die Jugendlichen frage, was würdest du denn sagen, ist das gerade schon häufig oder wie oft konsumierst du eigentlich? Ist dir das zu viel?
Ist dir das zu wenig? Denkst du, das hat Auswirkungen? Solche Sachen.
Deswegen wäre so eine allgemeine Definition, was häufig ist, wirklich schwierig zu treffen. Da würde ich mich weit aus dem Fenster lehnen. Sobald es regelmäßig wird, also sagen wir mal einmal die Woche oder mehr, würde ich bei Jugendlichen schon sagen, das ist schon schwierig.
Also schon der einmalige Konsum hat Auswirkungen und ist schädlich. Jeder Konsum, auch wenn man nur einmal probiert oder einmal zieht, ist schon schädlich. Das muss man ganz klar sagen.
Wenn man jetzt öfter konsumiert, wird es natürlich schädlicher und eben je jünger man anfängt. Häufig oder zu häufig wird es auf jeden Fall dann, wenn negative Auswirkungen spürbar sind. Also langfristig hat es sowieso immer einen negativen Effekt auf die Entwicklung.
Aber wenn man schon merkt, okay, ich werde jetzt schon vergesslich oder ich habe jetzt schon irgendwie Suchtdruck oder ich denke schon viel darüber nach, dann ist es definitiv zu viel.
[Patrick] Und warum würdest du denn sagen, dass Jugendliche in dieser Phase besonders anfällig sind oder manche Jugendliche, dann eben auch schon schnell in so ein Verhaltensmuster rein zu rutschen? Also ich kenne das von früher. Es geht extrem schnell, dass man sich angewöhnt, dass man halt irgendwie immer was zu rauchen am Start hat.Warum betrifft es Jugendliche so schnell und warum sorgt es dann auch dafür, dass es zu einer schnellen Gewöhnung kommen kann?
[Olivia]
Jugendliche sind ja sehr viel in Kleingruppen unterwegs. Die sind natürlich flexibel, da verändert sich ganz viel. Die werden mal größer, mal kleiner und man kann auch mal den Freundeskreis wechseln.
Aber oftmals sind die Bindungen sehr emotionsgeladen im Jugendalter und dadurch auch sehr eng. Und wenn man einmal in der Gruppe ist, dann passiert da zwar ganz viel, aber gleichzeitig ist so dieses Festhalten-Wollen an Beziehungen, die man hat, die stabil erscheinen. Wenn man da was hat, was einen verbindet und das ist dann auch in dem Falle Cannabis, dann bleibt man da sehr schnell drin hängen und intensiviert auch das Verhalten und verstärkt sich auch gegenseitig darin.
Also das Milieu hat einen ganz, ganz großen Einfluss, ist gleichzeitig auch der Knackpunkt, an dem man am besten ansetzen sollte, wenn man langfristig eine Änderung erreichen will. Beispielsweise jetzt will ein Jugendlicher abstinent werden, dann wäre es das schnellste, wirksamste, aber nicht das einfachste, den Freundeskreis zu wechseln und die Umgebung zu verändern. Und das macht kaum jemand.
[Patrick] Das ist absolut schwierig. Jetzt sind wir schon so ein bisschen bei Problemlagen von Jugendlichen und da würde mich interessieren, welche wiederkehrenden Problemlagen treten denn in der Arbeit mit den Jugendlichen immer wieder auf? Was sind denn wirklich so Probleme, mit denen die Jugendlichen mit Cannabis zu kämpfen haben?[Olivia]
Was mir recht häufig begegnet, ist, wenn sie in die Beratung kommen, anfänglicher Widerstand. Dieses, ich gehe nicht zur Suchtberatung, ich bin auch überhaupt nicht süchtig und ich habe eigentlich auch gar kein Problem. Was vollkommen nachvollziehbar ist, weil das ein Selbstschutzmechanismus ist.
Und viele, die allermeisten kommen ja auch nicht, weil sie sich selber denken, ich habe ein Problem, ich wende mich jetzt an die Suchtberatung. Dieser Begriff ist ja auch oft sehr negativ belegt. Und rufen dann an und machen einen Termin und gehen dann noch hin.
Das sind ja alles Hemmschwellen. Gerade wenn es jetzt im Sommer dann gutes Wetter ist, wer hat da Bock in die Suchtberatung zu gehen? Also in der Anfangszeit ist da ganz viel Widerstand.
Da gilt es dann natürlich immer erstmal dran zu arbeiten. Und spätere Problemlagen sind tatsächlich häufig Erreichbarkeit. Also gerade die, die mehr schon im kriminellen Milieu unterwegs sind, dann ihre Handys nicht dabei haben oder auf die Nummer wechseln oder die sogar von der Polizei konfisziert wurden.
Die dann zu erreichen, um Termine zu verlegen, da schaue ich schon, dass es möglichst niedrigschwellig ist und immer ich gleich den nächsten ausmache nach dem nächsten Gespräch. Ich habe es aber auch nicht immer. Zuverlässigkeit ist ein Riesenthema, gerade bei den Jugendlichen, die Cannabis konsumieren.
Ich habe ja verschiedene Klienten.
[Patrick] Ich denke, das bringt der Cannabiskonsum auch mit sich so ein bisschen. Wenn man da viel mit beschäftigt ist, dann sind andere Sachen im Hintergrund.[Olivia]
Ja, genau. Auch Vergesslichkeit spielt eine ganz große Rolle. Diese klassische Verpeiltheit.
Ich rufe dann schon auch mal an, wenn die Klienten mich beten und erinnere an den Termin. Aber wie gesagt, das funktioniert auch nicht immer. Und dann ist natürlich auch gerade bei den Jüngeren oft das Thema Eltern noch da.
Soll ich die Eltern anrufen, wenn ich den Jugendlichen nicht erreiche? Oder ist es nicht so gut? Sollen die vielleicht gar nicht wissen, dass sie bei mir in der Beratung sind?
Das kommt auch immer wieder mal vor. Oder wenn ich die Eltern erreiche, was darf ich sagen und was nicht? Da muss man immer wirklich nach Einzelfall gehen und da sehr, sehr vorsichtig sein.
[Patrick] Du hast schon angesprochen, ein ganz wichtiger Punkt, damit sich die Jugendlichen in deiner Beratung öffnen, ist dieses Vertrauen. Auf deren Seite sein, für sie beratend da zu sein. Wie schaffst du es denn sonst noch, dass sich die Jugendlichen in dieser kurzen Zeit, in der sie bei dir sind, auch wirklich öffnen und mit dir wirklich eins zu eins reden und sich auch gut beraten lassen?Das kann man ja auch nur, also habe ich gemerkt, bei Mainz und Standplatz kann man auch nur, wenn die Menschen, die da kommen, auch was von sich preisgeben. Bei so einem illegalen Thema mit Eltern und Schule und so, da ist man eigentlich schon drauf getrimmt, dass man nichts preisgibt, dass man auch nur die Hälfte erzählt. Erzähl doch mal.
[Olivia]
Ja, genau so. Ich versuche natürlich immer zuerst auf die formalen Bedingungen hinzuweisen. Es gibt immer ein Erstgespräch, in dem ich dann eben auf die Schweigepflicht hinweise und es nochmal genau ausführe, was gespeichert wird und was nicht, dass ich eben an niemanden Auskunft gebe.
Und das erwähne ich auch immer wieder, weil es ganz, ganz wichtig ist und oft vergessen wird, wenn dieser Widerstandsgedanke da ist. Dass die Jugendlichen auch bei mir vollkommen sicher sein können und dass es ihre Beratungsstunde ist. Also selbst, wenn sie eine Auflage von der Schule haben oder die Eltern sagen, geh da hin und die sogar vor der Haustür abliefern und sehen wollen, wie die zu mir reingehen ins Büro, ist es trotzdem die Stunde der Jugendlichen.
Und wenn die ein Thema haben, was nichts mit Sucht zu tun hat, was anfangs sehr häufig so ist, weil sie nicht darüber reden möchten, dann reden wir erst mal über was anderes. Dann reden wir über das, was den Jugendlichen interessiert, was ihn gerade beschäftigt. Und wichtig ist natürlich dann auch ein Interesse von meiner Seite, ohne aufdringlich zu sein, weil natürlich interessiert mich, wie das dann doch mit dem Konsum läuft, wie es kam, dass der Jugendliche zu mir gekommen ist, dass er Kontakt aufgenommen hat und dass er trotzdem immer wieder kommt.
Weil wenn die Jugendlichen regelmäßig kommen oder auch unregelmäßig oder überhaupt mal und dann drei Monate gar nicht, gibt es ja trotzdem einen Grund, warum sie überhaupt da sind. Und diese Gründe wissen sie im Inneren ja schon. Die gilt es dann eben nur herauszukramen und das bewusst zu machen.
Warum bin ich eigentlich hier? Vielleicht brauche ich ja doch irgendwas. Vielleicht kann mir ja doch jemand helfen.
[Patrick] Ja, so echtes Interesse an den Lebenslagen der Person ist einfach eine super schöne Sache, um mit jemandem einfach gut ins Gespräch zu kommen.[Olivia]
Ja.
Genau, erzähl mal bitte.
[Olivia]
Ja, genau, also die Peer-Gruppe sollte man da wirklich nicht unterschätzen. Was damit oftmals zusammenhängt, ist gerade viele Jugendliche von mir, die jetzt auch mit Älteren abhängen, die schon länger in dem Milieu sind und dann auch verkaufen und so kriminelle Sachen machen. Da rutschen die dann auch schnell rein, um den Eigenkonsum zu finanzieren.
Das ist das eine Thema. Wenn sie dann erwischt werden, hat das nicht mal ganz andere Folgen. Also da kann es ja dann richtig Ärger geben mit Gesetzgeber, Eltern, dass sie aus der Familie rausgenommen werden, dass sie von der Schule geschmissen werden, habe ich auch immer wieder, was ich natürlich dann irgendwie versuche auch zu verhindern, weil das wirklich ein verdammt schneller Weg ist, wenn man von der Schule geschmissen wird wegen sowas, dass man dann sich so schnell nicht mehr erholt und erstmal auch nicht im Hilfesystem ankommt.
Also das ist auch ganz wichtig für die Jugendsuchtberatung, da mit den Schulen zusammenzuarbeiten und zu sagen, hey, wenn ihr so einen Fall habt, dann ruft bitte erstmal bei uns an und wir schauen, was sich da machen lässt, bevor der Jugendliche fliegt, weil das hat wirklich gravierende langfristige Folgen.
[Patrick] Ja, Menschen auszugrenzen, weil sie eine Bindung zu einer Substanz suchen, ist einfach der absolut falsche Weg. Das macht unsere Gesellschaft schon seit 100 Jahren und der bessere Weg wäre vielleicht irgendwie, was würdest du sagen?[Olivia]
Definitiv Eingliederung ins Hilfesystem. Also so früh wie möglich, so eng wie möglich und so langfristig wie möglich. Suchtberatung ist ja nur ein Schritt, es gibt dann auch noch den qualifizierten Entzug, es gibt noch mehrmonatige Therapieangebote, in denen die Jugendlichen sogar eine Ausbildung machen können und zur Schule gehen.
Das ist alles möglich. Erstens ist das aber vielen nicht bekannt, zweitens haben da viele Jugendliche von Grund auf keinen Bock drauf. Wenn man da eine Weile damit arbeitet, dann geht das schwann.
Es gibt ja auch welche, die das machen, aber da erstmal reinzukommen ist erstmal schwieriger, auch für die Institutionen, die damit drinhängen und sicherlich auch für die Jugendlichen und Eltern erstmal ein Aufwand, mit viel Aufwand verbunden, aber es ist langfristig definitiv hilfreicher.
[Patrick] Ja, das ist auf jeden Fall eine wunderbare Sache, wenn Sie dann mit einer Sozialarbeiterin in Kontakt kommen, die Sie ernst nimmt und Ihnen zeigt, dass jemand für Sie da ist und wirklich auch versucht, mit Ihnen positiv in Ihrer Welt da und nicht verteufelt und so mit Ihnen zu arbeiten. Du hast jetzt schon angesprochen, dass dieser Kontakt mit der Kriminalität, das nehmen Jugendliche vielleicht auch ganz anders wahr, aber wenn es dann zum Erwischen kommt, dann ist wirklich was los, dass das Auswirkungen hat auf die Schule, auf die Familie, vielleicht auch auf irgendwelche Auflagen. Wie wirkt sich denn vielleicht das auf dem Führerschein aus?Weil du sagst, du arbeitest auch im ländlichen Bereich. Ist das vielleicht auch so ein Punkt, wie du die Jugendlichen, die jetzt noch unter 18 sind oder gerade in dieser Phase sind, wie du die auch mal kriegst, dass die dann vielleicht doch über ihren Konsum nachdenken, wenn du sie aufs Auto fahren und so ansprichst, auf die Mobilität, weil das ist einfach auch sehr wichtig, finde ich.
[Olivia]
Ja, das ist definitiv ein Thema. Tatsächlich eher unter den Älteren, so ab 16, 17 geht es dann los, dass sie sich Gedanken machen und ich hatte auch schon mehrmals den Fall, dass Jugendliche in der NPU aufgebombt bekommen haben, bevor sie den Führerschein begonnen hatten. Also für später, wenn sie den Führerschein beginnen, müssen sie eine NPU machen, weil sie in der Vergangenheit schon mal mit Psychotropensubstanzen erwischt wurden.
Das schockt die dann schon. Also den meisten ist NPU irgendwo ein Begriff, das nehmen die aber nicht so ganz ernst, bis es dann dazu kommt, dass sie einen Kumpel haben, der Auto fahren kann. Und dann geht es meistens los.
Also ich habe jetzt sogar gerade einen Klienten, der sagt, er fährt bei einem Kumpel mit, der hat ein Auto und dann wird inzwischen in dem Auto auch nicht mehr gekifft, auch nicht als Beifahrer. Also es hat schon Einfluss, wenn die merken, da geht noch was. Ich hätte die Möglichkeit, da gibt es Freiheiten, damit komme ich weiter.
Und dann fängt oftmals das Nachdenken an, aber es ist halt oft relativ spät erst.
[Patrick] Okay, danke. Kommen wir zum nächsten Punkt, soziale Medien. Das würde ich gerne mit aufnehmen, weil es aus unserer Sicht hier wirklich sich extrem schnell verändert, einen extremen Einfluss hat.Also ehrlich gesagt, die Suchthilfe da am wenigsten vertreten ist, was mit Konsum und auch eine Meinung bilden und so, weil das funktioniert ja über soziale Medien sehr gut, da ist die Suchthilfe ziemlich hintendran. Kapitalistische Sachen wie Werbung und auch so Influencer-mäßig und so, dass da einfach viel läuft. Wie beeinflusst denn soziale Medien das Konsumverhalten junger Menschen im Allgemeinen und dann vielleicht nochmal in Bezug auf Cannabis?
[Olivia]
Ja, da ist ein riesiger Einfluss da tatsächlich. Also ich berate ja auch zum Thema Mediensucht, wovon lange gesagt wurde, es gibt es nicht. Es ist auch jetzt offiziell noch nicht so klassifiziert, aber wir wissen inzwischen aus der Forschung, dass es Mediensucht per se gibt, auch in verschiedenen Ausprägungen.
Also auch was jetzt Gaming-Sucht zum Beispiel angeht, habe ich auch immer wieder Klienten. Soziale Medien sind ja nur ein Teil davon. Die haben einen riesigen Einfluss auf das eigene Bild, auf das Bild auch von der Außenwelt.
Ich war eine Zeit lang auch dann in Amberg in der Stadt unterwegs, habe mit den Jugendlichen direkt im öffentlichen Raum gesprochen und dann saßen die da auf einer Wiese zusammen und haben in ihre Handys geschaut. Also es ist wirklich extrem im Vergleich jetzt zu anderen Generationen. Was war jetzt die erste Frage, wie es einen Einfluss auf das Generelle hat?
[Patrick] Auf das Konsumverhalten einfach. Und bei Cannabis.[Olivia]
Also was das generelle Konsumverhalten angeht, wie gesagt gibt es Mediensucht an sich selber inzwischen auch schon. Was Psychotropesubstanzen angeht, ist es tatsächlich auch gar nicht mal so ohne. Also allein über TikTok erfahre ich immer wieder von Jugendlichen, dass sie da Videos haben, die auch mit bestimmten Arten von Musik unterlegt sind, also Richtung Deutschrap und es gibt ja den einen oder anderen Bekannten, die das ja aus Sicht der Jugendlichen auch so ein bisschen hypen und für die Jugendlichen dann auch attraktiv machen und pushen.
Dann gibt es auch einige, die selber von sich Trip-Videos machen und die über Snapchat verschicken. Also es ist schon enger vernetzt, als man meinen würde. Das betrifft auch Cannabis.
Also Gras, habe ich jetzt den Eindruck aus meinen Beratungsgesprächen, dass es weniger auf Snapchat gehypt wird, dass es wirklich mehr sowas im direkten sozialen Raum ohne Handy, da sitzt man mit Freunden zusammen und bucht einen ein. Aber andere Substanzen sind im Extrem mit Medien verknüpft und Gras findet tatsächlich, habe ich den Eindruck, relativ wenig online statt, außer, dass man ab und zu seine selbst gezüchteten Pflanzen postet. Also auch vor der quasi Legalisierung hatte ich da schon Fälle, die dann irgendwie ihre zu Hause gezogene Cannabispflanze auf Insta gepostet haben.
Das schon.
[Patrick] Aber jetzt so in Bezug auf diese Trip-Videos und so, da finde ich halt, dass es nicht vernachlässigt werden darf, dass da immer nur dieser, sage ich mal, positive Ausschnitt gezeigt wird, dass die Leute irgendwie gut drauf sind und die Wirkung da ist. Aber so diese negativen Wirkungen im Nachhinein und so, das wird halt nie gezeigt. Und das wird dann erst gezeigt, wenn die Leute dann wirklich schon mal einen echt langfristigen Konsum haben und schon wirklich ernsthafte Probleme bekommen.Da gibt es auch so ein paar Rapper, die dann darüber sprechen, so T-Low zum Beispiel. Das ist dann schon spannend und kann auch sehr viel bewirken. Das muss man sich aber natürlich auch angucken.
[Olivia]
Genau. Es gibt ja auch quasi so Aussteiger-Videos. Das ist wie bei Essstörungen zum Beispiel auch.
Dazu berate ich ja auch. Es gibt Videos und Posts und Influencer und Webseiten, die in Richtung Essstörung drängen, also wirklich Essstörungs-Positive oder auch so Abnehmen und Diät-Positive Posts. Und dann gibt es genau das Gegenteil.
Und man kann ja selber ein Stück weit beeinflussen, was in dem eigenen Newsfeed erscheint, wenn man das weiß und wenn einem das bewusst ist. Das gibt es bei Drogen genauso. Und viele von diesen Videos sind ja auch mit Musik unterlegt, die eigentlich konsumkritisch ist oder sehr depressiv angehaucht ist, bei der man schon raushört.
Eigentlich ist da gar nicht so ein Feiern oder so eine Zufriedenheit da, sondern es ist eher so eine Verzweiflung, so ein Schmerz darüber, was ist, und dass man sich dann einfach wegballert. Und damit identifizieren sich viele Jugendliche aber auch, ohne diesen weiteren Schritt zu ziehen. Okay, irgendwie ist es ja gar nicht so gut oder es tut mir gerade nicht gut, sondern sie lassen sich in diesen Schmerz reinfallen und fühlen sich dadurch angenommen und ziehen dann eine positive Verbindung zu Drogen, weil sie meinen, okay, das repräsentiert mich gerade.
[Patrick] Gibt es hier Hilfsangebote konkret, wo sich Jugendliche hinwenden können, die vielleicht auch niedrigschwellig erreichbar sind über soziale Medien direkt?[Olivia]
Ja, doch. Es gibt diverse Chatportale, Krisenhilfe, also sowohl telefonisch als auch per Chat und alle möglichen Angebote, die tatsächlich auch 24 Stunden, sieben Tage die Woche erreichbar sind. Ich habe oft den Eindruck, die sind nicht so präsent für die Jugendlichen, die nehmen das nicht so wahr, dass es die gibt, werden dann aber auch noch nicht so angenommen von meinen Klienten zum Beispiel.
Ich weiß nicht genau, warum. Ja, aber es gibt sie definitiv, auch zu verschiedensten Stoffgruppen und Problembereichen und Verhaltensstörungen und Süchten, da gibt es auch Spezialisierungen drauf.
[Patrick] Ja, mich würde noch interessieren, du hast vorhin schon darüber gesprochen, dass Erwachsene, also so Rapper, die wirklich schon ihr Business da drin haben, gezielt teilweise auch beeinflussen und Konsum hypen und so weiter. Welche Rolle spielen denn Erwachsene Vorbilder für Jugendliche bis 18 Jahre in Bezug auf Konsum? Welchen Einfluss hat das?[Olivia]
Einen sehr großen Einfluss tatsächlich. Das ist eben auch ganz wichtig bei mir an der Stelle, die Elternarbeit, weil auch das vielen Eltern wiederum nicht bewusst ist. Ich habe viele Jugendliche, die rauchen, deren Eltern rauchen, viele Jugendliche, die kiffen, deren Eltern lehnen das Kiffen total ab.
Also man kann nicht sagen, die Eltern machen das und deswegen machen die Jugendlichen das. Da reagiert jeder Jugendliche anders. Gleichzeitig ist es aber so, dass es sehr wohl einen Einfluss hat, wie darüber gesprochen wird, welches Verhältnis, welche Beziehungen die Kinder zu ihren Eltern haben, ob das gut ist oder nicht, ob sie es dementsprechend ablehnen, was sie sagen und machen oder nicht und was sie auch von klein auf als normal empfinden.
Also dieser Begriff des Normalen und der Normalität ist ja je nach Zusammenhang komplett anders auslegbar und für viele Jugendliche ist es einfach das normal, was sie von klein auf kennengelernt haben. Manche hinterfragen es dann, andere nicht so. Aber ich sehe es allein schon am Handynutzungsverhalten der Eltern und am Medienkonsum zu Hause, was für einen enormen Einfluss auf die Jugendlichen hat.
Bei Psychotropensubstanzen ist es nochmal anders, da zeigen sich andere Muster, aber es hat definitiv einen riesigen Einfluss. Und wenn wir die Eltern nicht mit anbinden, also vor allem bei Medien, wie gesagt, merke ich das extrem, die leite ich immer weiter an eine spezialisierte Beratungsstelle in Amberg, die Beratungsstelle für Kinder, Jugendliche und Eltern, weil es da auch ein Stück weit tatsächlich um Erziehungskompetenz geht und um Grenzen setzen und um Vorbildverhalten. Bei Cannabis ist es oftmals nicht so leicht, weil da ja bei den Jugendlichen viel im Geheimen passiert oder auswärts der Wohnung, das kriegen viele Eltern nicht mit.
Aber auch da ist es wichtig für Eltern zu wissen, was passiert da eigentlich gerade und welche Rolle spiele ich dabei, weil die Familie spielt eine der größten Rollen.
[Patrick] Ich denke auch, dass man das schon so ein bisschen verallgemeinern kann, so Konsum allgemein, weil Alkohol in unserer Gesellschaft ja auch so ein Mittel ist, was sich wirklich viele Erwachsene jeden Abend gönnen. Und dann sind die Jugendlichen, die lernen halt einfach, dass man sich halt zum Abschalten irgendwie immer irgendwas gönnt.…